Nach dem Hype kommt die Umsetzung

Das IT-Unternehmen IBM hat in Kooperation mit der dänischen Reederei Maersk „TradeLens“ entwickelt – eine neue Plattform für Supply-Chain-Management, die auf der Blockchain-Technologie basiert. Christian Schultze-Wolters, Geschäftsbereichsleiter für IBM Blockchain Solutions DACH bei IBM Deutschland, erläutert, welche Chancen die Technologie für den globalen Handel bietet.
Vor welchen Herausforderungen steht die Logistik in puncto IT?

Christian Schultze-Wolters: Die Unternehmen der Branche haben zwar alle IT-Systeme wie TMS oder ERP im Einsatz, aber sie sind immer noch enorm abhängig von Papier. Da gibt es Ladepapiere, Frachtpapiere, Herkunftszertifikate, Zollpapiere, die Bill of Lading und viele weitere – eine unglaublich große Anzahl an Dokumenten. Dass diese nicht digitalisiert sind, sorgt in der Kombination mit Medienbrüchen durch E-Mail oder Fax dafür, dass die betreffenden Prozesse fehleranfällig und teuer sind. Je stärker die Unternehmen in der Logistik sich mit IT-gestützten Systemen auseinandersetzen, umso wichtiger ist es, diese Prozesse zu adaptieren und sich in Richtung Digitalisierung zu bewegen. Unternehmen müssen sich stärker fokussieren. Sie brauchen nicht noch mehr IT, sondern eine andere, digital orientierte IT. Eine IT, die den Unternehmen hilft, ihre Prozesse zu optimieren – und die Kosten zu reduzieren, denn schließlich ist der Frachtbereich nicht besonders margenstark.

Welche Rolle kann die Blockchain hier spielen?
Als Technologie an sich hat die Blockchain vor allem das Ziel, die Kommunikation und Zusammenarbeit von Unternehmen zu verbessern. Sie kann Transparenz in einem Ökosystem schaffen, wie es die Logistik mit allen relevanten Partnern bildet; und dazu gehören unter anderem auch Häfen, Zollbehörden, Banken und Versicherungen. Die Informationen, die geteilt werden müssten, um schneller, besser und effizienter zu werden, sind teilweise sehr sensibel. Eine Blockchain kann hier Vertrauen schaffen, indem sie drei Kriterien sicherstellt. Erstens sind die Daten dezentral und bleiben es auch in direkter Verantwortung und Kontrolle der Unternehmen. Zweitens sind die Daten verschlüsselt und damit sicher – und die Inhaber der Informationen entscheiden, wer sie sehen darf und wer nicht. Darüber hinaus können die Daten nicht verändert oder gelöscht, also nicht manipuliert werden. Drittens ist das System schnell: Die Daten können in nahezu Echtzeit zur Verfügung gestellt werden. Die Blockchain schafft also eine Plattform, auf der Informationen im gesamtheitlichen Prozess einer Supply-Chain vertrauensvoll miteinander geteilt und ausgetauscht werden können.
Welche Vorteile bietet die Technologie konkret für den internationalen Handel?
Wenn wir etwa an einen taiwanesischen Hersteller von Elektronikteilen für die Automobilbranche denken, der an einen Hersteller in Deutschland liefert, dann gibt es sehr viele Player in der Supply-Chain, und jeder von ihnen hat seine eigene Rolle. Wenn nun die Blockchain einen sicheren und transparenten Zugriff fast in Echtzeit auf die Daten sicherstellt, dann bedeutet das auch, dass die Akteure ihre Logistikprozesse daran anpassen können, genau wie die Ressourcen in einem Logistikhub, generell in einer Supply-Chain oder auch in dem Werk, in dem die Teile verarbeitet werden sollen. Jeder kann also in jeglicher Beziehung seine Prozesse optimieren und damit das gesamte Ökosystem qualitativ auf ein höheres Niveau heben, und dies gegebenenfalls auch bei niedrigeren Kosten.
Die Technologie wurde anfangs geradezu auf einen Thron gehoben, inzwischen scheint sich der Hype darum abgekühlt zu haben. Welche Folgen hat das?
Ja, der sogenannte Hype um die Blockchain ist vorbei. Wer aber denkt, dass diese Technologie damit veraltet ist, liegt komplett falsch. Ich bin überzeugt davon, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Gerade weil der Hype vorbei ist, stelle ich fest, dass der Markt sich dem Thema gegenüber stärker öffnet und Unternehmen sich sehr viel ernsthafter, konzentrierter und seriöser damit beschäftigen. Sie versuchen wirklich, den damit verbundenen Zusatznutzen für das Unternehmen zu erkennen. Aus der Frage „Wie kann ich diese neue Technologie für mich nutzen?“ wird „Mit welcher Technologie kann ich mein konkretes Problem am besten lösen?“ Die Antwort darauf muss nicht immer eine Blockchain sein – sie kann es aber. Es hilft auf jeden Fall allen Beteiligten, Blockchain-Projekte konzentriert anzugehen und Schritt für Schritt zu entwickeln.

Was kann Ihre Produktlösung „TradeLens“ den Nutzern bieten?

Zum einen schafft sie Transparenz für die Akteure in der gesamten Lieferkette; wir nennen das Supply-Chain-Insight, also die zuverlässige und sichere Transparenz, bezogen auf den Waren- oder Containerstatus. Zweitens ermöglicht sie die Digitalisierung der vielen benötigten Dokumente, um sich schrittweise vom Papier – und damit von der schon erwähnten Fehleranfälligkeit und Kostenintensität – zu lösen. Doch Digitalisieren heißt an dieser Stelle nicht, ein Dokument einzuscannen und als PDF hochzuladen, sondern wirklich digitale Dokumente zur Verfügung zu stellen, die in einer Blockchain mit Daten gefüllt, gespeichert, verarbeitet und damit auch schnell weitergereicht werden können. Wenn ein Container im Zoll feststeckt, erkennt man beispielsweise viel eher, warum das so ist und welches Dokument fehlt oder falsch ausgefüllt wurde. Ich kann direkt einsehen, welche Kommentare der Zollbeamte gemacht hat, und sehr viel schneller reagieren, als per Telefon oder E-Mail nachfragen zu müssen oder wenn per Post irgendwelche Dokumente nachzureichen sind.
Sie haben sich zu Beginn bei der Erarbeitung dieser Produktlösung stark auf Seefracht konzentriert und wollen diese jetzt für die Straße und die Schiene ausbauen. Welche Ziele setzen Sie sich noch?
Ja, das wollen und werden wir. Es geht dabei nicht nur um die sogenannte Hinterlandanbindung, sondern auch darum, die Straße und die Schiene ganzheitlich zu integrieren. Denken Sie zum Beispiel an die zunehmende Bedeutung der Seidenstraße, bei der Seefracht keine Rolle spielt. Wir werden darüber hinaus auch die Funktionalität ausbauen, unter anderem in Bezug auf noch mehr Transparenz. Das bietet zum Beispiel die Chance, Gefahrgut, dass nicht als solches deklariert wurde, frühzeitig zu erkennen und möglichst Schäden zu vermeiden.
Was überzeugt Sie ganz persönlich an dem Projekt „TradeLens“?
Dass es eine branchenübergreifende Lösung ist, die blockchainbasiert und mit dem Schwerpunkt auf Lieferketten die Akteure in fast alle Branchen dieser Welt anspricht – ob sie nun einen Auftrag erteilen, ausführen oder dessen Ausführung unterstützen und dafür sorgen, dass alles sicher und termingerecht am Zielort ankommt. IBM hat mit Partnern und Kunden weltweit bereits mehr als 100 Projekte erfolgreich umgesetzt, die heute in unterschiedlichen Branchen aktiv genutzt werden. Mit „TradeLens“ werden aber nicht nur Logistiker angesprochen, sondern beispielsweise auch Unternehmen der öffentlichen Hand in ihrem Umfeld, etwa Zollbehörden und andere staatliche Behörden, die involviert sind, wenn es um den Transport von Waren rund um den Globus geht. Das ist komplex und in der Umsetzung spannend, weil es zeigt, wie übergreifend und umfassend die Blockchain einen Zusatznutzen generiert.
Fotos: TradeLens

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