Das Gesetzbuch für den Spediteur

Die Hamburger Traditionsspedition a.hartrodt bringt die Waren ihrer Kunden weltweit sicher ans Ziel. Dabei sind die Incoterms® ein täglicher Begleiter der Mitarbeiter.

DDP (Delivered Duty Paid) ist für Indien keine gute Wahl – das hat Carl Petersen gerade am Telefon mit einem Kunden besprochen und zu einer anderen Incoterms®-Klausel im Vertrag für einen großen Kupfertransport geraten. „Der indische Zoll ist kein ganz einfacher Partner. Unterschiedliche Interpretationen zur Tarifierung von Waren können schon mal zu Problemen bei der Verzollung führen, die eine längere Verweildauer im Zoll nach sich ziehen“, berichtet Petersen, der als German-Indo Tradelane Manager nach einem dualem Studium beim Hamburger Spediteur a.hartrodt für die Geschäftsentwicklung zwischen Deutschland und Indien verantwortlich ist und auch den Transport von Waren nach und aus Indien betreut.

Von Deutschland aus werden dorthin unter anderem Maschinenteile und allgemeine Industrie- und Kaufmannsgüter exportiert; aus Indien kommen in zunehmendem Maße vor allem Maschinen, Ersatzteile, Kupfer, Tee und Textilien zu uns. „Dabei gibt es wie in vielen Ländern spezifische Gegebenheiten, die wir aus Erfahrung gut kennen“, so Petersen. „Wir raten dann nach Möglichkeit von ganz bestimmten Verkaufsbedingungen ab und halten uns in unseren Empfehlungen immer strikt an die Definition der Incoterms®. Bei Transporten nach Indien unter DDP-Bedingungen sollten wir uns eben nicht darauf verlassen, dass der Empfänger beim Thema Zoll mitarbeitet. Denn wenn es zu Verspätungen kommt, muss der Absender – und damit unser Kunde – die Kosten dafür selbst tragen.“

Großes internationales Netzwerk

a.hartrodt ist ein klassischer Hamburger Überseespediteur – mit langjähriger Erfahrung, Geschichte und einem großen internationalen Netzwerk. Das Unternehmen bietet internationale Transport- und Logistikdienstleistungen von Haus zu Haus an. 2.400 Mitarbeiter in weltweit 60 Niederlassungen entwickeln maßgeschneiderte Lösungen für ihre Kunden und bringen deren Waren sicher ans Ziel. Dabei spielen die Incoterms® eine wichtige Rolle: „Sie sind fast so etwas wie das Gesetzbuch für den Transporteur”, sagt Willem van der Schalk, Geschäftsführer von a.hartrodt. „Sie sind der Standard und die wichtigste Grundlage für unser Handeln wie das unserer Kunden. Dank der Richtlinien in diesem Buch wissen wir genau, wer welche Kosten bezahlt und wie wir sie abzurechnen haben oder etwa wie der Gefahrenübergang einer Lieferung zu regeln ist. Die Incoterms® geben uns Sicherheit und vermeiden unnötige Konflikte. Viele Fehler und Diskussionen können umgangen werden, wenn man auf das Werk zurückgreift und nach seinen Empfehlungen und Richtlinien arbeitet.“

Auf Carl Petersens Schreibtisch liegt neben Frachtpapieren auch eine Ausgabe der Incoterms® 2010. „Sie legen quasi das Spielfeld fest, auf dem wir uns als Spediteur bewegen“, beschreibt er, „und zeigen ganz klar, wer welche Risiken, Verantwortungen und Kosten trägt.“ Er schlägt regelmäßig darin nach: „Mir sind die Regeln zwar schon im Rahmen meiner Ausbildung in Fleisch und Blut übergegangen, aber es gibt trotzdem manchmal Punkte, bei denen ich zum Buch greife. Ich nutze zwar auch das Internet für die Recherche, aber das geht nicht unbedingt schneller. Denn dort muss man genau die Quellen prüfen und schauen, ob auch wirklich alles korrekt ist. Beim Buch kann ich mir ganz sicher sein, dass die Fakten korrekt sind.“ Willem van der Schalk ergänzt: „Daher ist es oftmals sogar effizienter, das Buch heranzuziehen. Das Haptische ist in diesem Fall einfach noch sehr wichtig.“ In jeder Abteilung des Unternehmens sind deshalb mehrere Exemplare der Incoterms® für die Mitarbeiter verfügbar. Schon die Auszubildenden bekommen natürlich alle wichtigen Regeln vermittelt. „Wenn man einige Zeit damit arbeitet, hat man sicher das meiste im Kopf. Als Nachschlagewerk liegt das Buch dennoch immer bereit“, so van der Schalk. Die IT-Systeme bei a.hartrodt sind ebenfalls darauf abgestimmt: Wenn Mitarbeiter einen Auftrag eingeben, können jeweils nur die passenden Abrechnungscodes zu den eingegebenen Incoterms® für die betreffende Sendung ausgewählt werden.

Klauseln genau definieren

Die Beratung von Kunden bezüglich der konkreten Auswahl und Anwendung der Klauseln gehört bei a.hartrodt zum täglichen Geschäft. „Wir können die Kunden unterstützen, wenn sie uns in die Entscheidungsfindung einbeziehen“, so van der Schalk. „Gleichzeitig liegt es an uns, als Spediteur genau zu schauen, ob wir einen Auftrag in der vorliegenden Form erfüllen können oder ob etwas ergänzt werden muss.“ Vor allem die Mitarbeiter im Verkauf arbeiten mit den Incoterms®. „Sie haben den direkten Kontakt zum Kunden, und wenn Fragen aufkommen, können sie mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung in der Regel gut helfen. Man sollte auch wirklich im Vorhinein ganz klar mit jedem Kunden darüber sprechen. Unser Verkauf ist deshalb angewiesen, bei jedem Abschluss mit dem Kunden genau zu definieren, welche Klauseln abgesprochen wurden. Es reicht nicht, wenn man sagt: ‚Ich verkaufe nur‘ – unsere Verkäufer werden entsprechend geschult.“

Wenn die Incoterms® 2020 erscheinen, wird es auch bei a.hartrodt Schulungen für die Mitarbeiter dazu geben. Auch sonst wird das Wissen über die Incoterms® in der Belegschaft immer aktuell gehalten, um zu vermeiden, dass sich Ungenauigkeiten einschleichen. „Wir erleben immer wieder in der Zusammenarbeit mit Partnern, dass die Incoterms® dort nicht korrekt angewendet werden“, berichtet Willem van der Schalk. „Ich denke, dass solch eine Verwässerung häufig durch Unkenntnis passiert, weil die Nutzer nicht wissen, wie einzelne Klauseln korrekt zu interpretieren sind. Sicher liegt das oftmals in einer Routine begründet – einem gewissen Automatismus, den man sich vielleicht angeeignet hat. Daher muss man das Wissen über die Incoterms® meiner Meinung nach regelmäßig auffrischen, und das machen wir hier im Unternehmen auch.“ Er sieht diesbezüglich vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels eine Herausforderung in der Branche: „Der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften bedeutet ja auch, dass immer mehr Leute mit Aufgaben betraut sind, für die sie nicht ausgebildet wurden. Aber auch ihnen sollten die Incoterms® in Fleisch und Blut übergehen.“

Die operativen Abteilungen bei a.hartrodt, die die Sendungen abwickeln, greifen ebenfalls häufig auf die Klauseln zurück, vor allem bei der Rechnungsstellung an die Kunden. Von elementarer Bedeutung seien die Klauseln hier natürlich immer dann, wenn es bei einem Transport Probleme gab, zum Beispiel bei Unterbrechungen durch Stau, und wenn dann geklärt werden muss, wer die Kosten dafür trägt. „Sind die Verantwortlichkeiten schlecht definiert, dann bleiben wir als Spedition häufig auf diesen Kosten sitzen.“ Gleichwohl gilt: „Man muss auch realistisch sein: Nicht alles kann durch die Klauseln geregelt werden, denn es sind nach wie vor Empfehlungen und kein Gesetz. Es handelt sich um ein Agreement zwischen zwei Parteien – Käufer und Verkäufer –, und wir als Spediteur sitzen dazwischen und setzen die Transporte im Einklang mit den Vereinbarungen um.“

Schnell eigene Niederlassungen weltweit gegründet

Das Unternehmen a.hartrodt wurde 1887 als reiner Überseespediteur in der Hamburger Speicherstadt gegründet. Schwerpunkt des Geschäfts war damals die Verschiffung von hochwertigen Gütern für Auswanderer. So wurden beispielsweise Klaviere für verschiedene Pianospieler nach Australien gebracht, oder Handwerker nahmen große Maschinen mit nach Südafrika und Brasilien. Gründer Arthur Hartrodt reiste oftmals selbst in die Länder, knüpfte dort Kundenkontakte und baute internationale Vertriebswege auf, mit ersten Büros in Argentinien, Brasilien und Australien auf. a.hartrodt besaß ein eigenes Segelschiff, die „Gretchen Hartrodt“, mit dem weltweite Transporte durchgeführt werden konnten. Die eigenen 63 Niederlassungen in 45 Ländern mit 2.100 Mitarbeitern in der ganzen Welt waren wegweisend für die Zukunft des Unternehmens.

Neben dem alltäglichen Transport von industriellen Produkten und Kaufmannsgütern aller Art hat man sich heute auf das Sammelladungsgeschäft (LCL) und Spezialtransporte spezialisiert. „In fast allen Ländern sind wir nicht nur als Spediteur unterwegs, sondern auch als Zollagent“, erläutert van der Schalk. a.hartrodt wird in vierter Generation in Familienhand geführt; die nächste Generation macht sich schon bereit, um die Geschicke der Firma in den nächsten Jahren zu übernehmen. Das Unternehmen bildet selbst Speditionskaufleute aus und bietet ein duales Studium an. „Wir sind durch und durch international“, so van der Schalk. „Daher wird die sprachliche Ausbildung der Mitarbeiter sehr stark gefördert. Wir sind ein sehr offenes Unternehmen, das Mitarbeiter vieler Nationalitäten versammelt. Und wir legen großen Wert darauf, dass unsere Auszubildenden nicht nur an der Scholle kleben, sondern auch bereit sind, ins Ausland zu gehen.“

Matthias Pichler sitzt erst seit knapp einem Jahr wieder täglich im Hamburger Büro. Er war nach Ausbildung und Studium für fast acht Jahre in Malaysia und Vietnam in den dortigen Niederlassungen von a.hartrodt tätig und kam mit viel Wissen, Eindrücken und Know-how zurück. Als General Manager Export Asien ist er bei a.hartrodt für FCL- (Full Container Load) und LCL- (Less-than-Container Load) Exporte nach Asien verantwortlich. Da die Spedition langjährige Kooperationen mit Reedereien, Fuhrunternehmern und weiteren Dienstleistern pflegt, können sich die Kunden auf viele Abfahrten und kurze Transitzeiten verlassen. „Die Incoterms® sind das Handwerkszeug, mit dem wir täglich arbeiten“, bestätigt der 33-Jährige. Auch für ihn ist die Anwendung deshalb Routine. „Es gibt dennoch immer wieder Fälle, bei denen ich zur Sicherheit genau nachschaue, insbesondere wenn es um Vorfälle abseits der Norm geht, etwa zum genauen Zeitpunkt des Eintritts eines Schadensfalls. Dann gilt es in manchen Fällen genau zu beurteilen, an welchen Stellen sich konkret Gefahren- und Risikoübergänge befinden. Das sind die Momente, in denen ich mich wieder sehr intensiv mit den Regelungen beschäftige.“

Pflichten ganz klar erkennen

Seine Kollegin Kerstin Lühr kennt das zu gut: Die „marmorierte Baumwanze“ machte der General Managerin Export Australien und Neuseeland in den vergangenen Monaten viel Arbeit. Der Schädling soll aus Australien und Neuseeland ferngehalten werden. Daher hat das australische Agrarministerium verfügt, dass bestimmte Warengruppen, die per Seefracht ins Land kommen, von September 2018 bis April 2019 begast oder hitzebehandelt werden müssen. „Das ist also Pflicht, kostet aber Zeit und Geld“, so Lühr. „Wir mussten schauen, wo die Kosten untergebracht werden können. Eine klare Regelung in den Incoterms® gab es für diesen speziellen Fall erst mal nicht; hier könnten die Incoterms® noch regelmäßiger an die Praxis angepasst werden.“

Kerstin Lühr bringt in ihrem Arbeitsbereich unter anderem Maschinen, Möbelbeschläge, Lebensmittel und Spielgeräte ans andere Ende der Welt – „die Bandbreite der deutschen Industrie“, wie sie es zusammenfasst. „Die Incoterms® sind enorm wichtig für unsere Arbeit“, erzählt sie, „weil wir daran ablesen können, wer die Kosten für unsere Dienstleistungen übernimmt. Wir erkennen ganz klar unsere Pflichten und die unserer Kunden.“ Das Buch hat sie immer griffbereit in der Schreibtischschublade liegen: „Die wichtigsten Regeln habe ich natürlich immer parat. Aber es ist so: Wenn man ernsthaft über Incoterms® im Alltag spricht, dann geht es immer um Details – und die hat keiner von uns im Kopf.“

Leider gebe es auch immer wieder Länder, die sich nicht an die Incoterms® hielten oder sie unterschiedlich interpretierten, wie Geschäftsführer Willem van der Schalk berichtet: „Oder es wird versucht, Kosten zu verlagern, die eindeutig einem Bereich zuzuordnen sind, um sie in andere Kosten zu inkludieren.“ Als Beispiel nennt er China, wo seit einiger Zeit den Kunden teilweise sehr niedrige Raten für Seefracht angeboten würden, um sie damit zu locken. Der Leiter der Importabteilung im Hamburger Haus, Alf Hörnig, erläutert: „Dem Absender, der C&F (cost and freight) zu liefern hat, werden dann niedrigste Preise für die Seefracht angeboten, um die Sendung zu erhalten. Dem Empfänger wird die Differenz von gezahlter Seefracht zu wirklich entstandener Seefracht als sogenannte Empfangskosten durch den Partner der chinesischen Firma am Bestimmungsort abgerechnet.“

Das führt dazu, dass Kunden im guten Glauben, sie hätten frei Empfangshafen oder frei Bestimmungsort gekauft, mit zusätzlichen Kosten konfrontiert werden. „Es gibt Fälle, da wurden bis zu 300 Dollar pro Frachttonne Seefracht abgerechnet, während die normale Rate dafür zwischen 60 und 70 Dollar beträgt“, berichtet Hörnig. „Die Übernahme dieser Kosten ist für uns als Spediteure verpflichtend, weil wir die Sendung sonst nicht in Empfang nehmen können. Hier wünschen wir uns natürlich eine stärkere Regulation.“ Gerade um solche Entwicklungen zu bremsen und immer wieder auf klare internationale Regelungen zurückzukommen, seien die Incoterms® umso wichtiger, ist der Unternehmer überzeugt. Bei den neuen Incoterms® 2020 hofft er auf noch mehr Eindeutigkeit: „Je transparenter und präziser die Regeln definiert sind, umso einfacher wird es für uns, mit den Kunden alles klar abzustimmen – vor allem bei der elektronischen Übergabe. Aber dass die Incoterms® auch in Zukunft bewusst unterlaufen werden, kann sicher leider nicht verhindert werden.“

Mix aus analogen und digitalen Prozessen

Für sein eigenes Geschäft setzt Willem van der Schalk bei a.hartrodt auf einen guten Mix aus analogen und digitalen Prozessen. „Beides muss Hand in Hand gehen“, so van der Schalk, „der Spediteur, der jetzt noch sehr traditionell arbeitet, wird sich stark digital weiterentwickeln müssen. Der digitale Spediteur muss aber genauso begreifen, dass es auch noch haptische Dinge gibt und dass Menschen Entscheidungen treffen. Hier muss man die richtige Balance zwischen den beiden Polen finden.“ Natürlich bleibe der Preis für viele Kunden der entscheidende Aspekt bei der Entscheidung für einen Dienstleister im Transport. „Aber es bleibt auch ein zutiefst persönliches Geschäft: Die Beratung erfolgt immer von Mensch zu Mensch. Und so wird man sich beim gleichen Preis wohl immer an den Menschen in einem Unternehmen orientieren und nicht an dem IT-System. Auch wir entwickeln uns konstant weiter und sind in puncto Digitalisierung schon große Schritte gegangen, aber wir verlieren den Menschen nicht aus dem Auge.“

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