„Das Fachwissen, das in den Incoterms steckt, kann ein einzelner Berater gar nicht abdecken“

Juristen engagieren sich für klare Regeln im Interesse ihrer Mandanten: Die Incoterms helfen ihnen dabei. Klaus Vorpeil, Rechtsanwalt im Team der Kanzlei Neussel Martin, ist spezialisiert auf nationales und internationales Wirtschaftsrecht, Bankrecht, internationale und Exportfinanzierung sowie Sicherheiten bei internationalen Geschäften.

Außerdem ist er Mitglied der deutschen Gruppe zur Bearbeitung der Incoterms und Autor vieler Veröffentlichungen zu den Incoterms sowie weiteren Richtlinien und Regelwerken der ICC. Im Interview erläutert Vorpeil, wie er selbst mit den Klauseln arbeitet und seine Mandanten bei deren Anwendung unterstützt.

Sie beschäftigen sich schon sehr lange und intensiv mit den Incoterms – warum und wie genau?

Als Anwalt bin ich auf internationale Geschäfte spezialisiert, und daher beschäftige ich mich im täglichen Geschäft sehr häufig mit den Incoterms. Das beginnt beispielsweise mit Exportverträgen, bei denen man jeweils die Incoterms-Klausel auswählen muss, die zum individuellen Fall passt. Dabei spielt vor allem die Interessenlage des Mandanten eine wichtige Rolle, also welche Marktmacht ein Exporteur oder Importeur hat und was er dementsprechend durchsetzen kann. Unsere Klientel kommt aus dem Mittelstand; da gibt es andere Herausforderungen als in großen Industrieunternehmen mit eigenen Rechtsabteilungen. In unserer Beratung müssen wir wirklich sehr individuell schauen, was für den einzelnen Mandanten wichtig ist.

Worin sehen Sie den wichtigsten Nutzen dieses Regelwerks?

Generell kann man sagen, dass der größte Nutzen der Incoterms darin besteht, dass sie standardisierte Klauseln bieten, die weltweit anerkannt sind. Wenn ich auf dieses Regelwerk zurückgreife, muss ich mit meinem Vertragspartner nicht mehr wochenlang über Handelsklauseln sprechen. Und egal in welchem Land der Vertragspartner sitzt: Auch er kennt die Incoterms, und beide wissen direkt, worüber man redet. Zudem bieten die einzelnen Incoterms-Klauseln praktisch immer ein Paket von Lösungen. Sie regeln zum Beispiel nicht nur den Gefahrübergang oder die Kostenlast, sondern auch die Pflichten der Parteien. Diese Pakete können dann abhängig von der Marktmacht oder Interessenlage der Parteien in Richtung Verkäufer oder Käufer verschoben werden – je nachdem, was sich durchsetzen lässt.

Gibt es noch weitere Vorteile?

Die Klauseln sind von international erfahrenen Experten entwickelt worden: Das umfangreiche Fachwissen, das darin steckt, kann ein einzelner Berater gar nicht abdecken. Und genau diese Kompetenz dahinter macht natürlich auch den großen Zusatznutzen aus: Die Incoterms regeln nicht nur die rein rechtliche Seite eines Vertrags, sondern es kommen noch Aspekte wie Versicherungsleistungen und Außenwirtschaftsrecht mit Zollabwicklung und Logistik hinzu. Auch die Sachkenntnis auf diesen Gebieten gibt es meist nicht aus einer Hand, sprich von einem Berater. Da nimmt einem die ICC viel Arbeit ab, indem sie die Incoterms herausgibt, an denen bereits Fachleute aus all diesen Richtungen mitgewirkt haben. Hier sollte man auch die Handelskammern bewusst nennen, deren Beiträge zu dieser Materie besonders wertvoll sind. Da sie viele Firmen beraten, wissen sie genau, wo die Schwachstellen in der Anwendung liegen – nicht im Regelwerk selbst, sondern im Verhältnis zum Anwender. Das ist ein riesengroßer Vorteil, den man quasi zum Nulltarif mit einkauft.

Sie beraten Klienten zu den Incoterms – was sind dabei die häufigsten Fragen an Sie?

Es geht vor allem darum, die jeweils individuell passende Incoterms-Klausel auszuwählen. Bei vorgefertigten Verträgen fällt oftmals schnell auf, dass die Klauseln überhaupt nicht auf den konkreten Fall zugeschnitten sind – das müssen wir dann in der Beratung besprechen. Ein Trugschluss ist es auch, dass mit einer Incoterms-Klausel, bei der der Gefahr- und Kostenübergang möglichst nahe bei dem Verkäufer liegen, also mit E- oder F-Klauseln, schon alles geregelt sei. Das stimmt leider nicht. Wichtig ist zudem, dass man den genauen Inhalt der einzelnen Klauseln kennt. Nur die A-Pflichten für den Verkäufer und die B-Pflichten für den Käufer geben einen Gesamtüberblick, ob das, was gerade vereinbart wird, in einem konkreten Einzelfall sinnvoll ist.

Warum kommt es zu solchen Missverständnissen – sind die Incoterms zu kompliziert formuliert?

Nein, das sicher nicht. Es liegt wohl eher daran, dass sich viele Unternehmen nicht richtig damit befassen oder auf oberflächliche Abhandlungen dazu zurückgreifen. Viele Anwender orientieren sich an Tabellen, die überall im Internet zu finden sind; doch leider sind diese in der Regel nicht korrekt oder auslegungsfähig. Ich erlebe immer wieder, dass nicht das Originalregelwerk genutzt wird, sondern irgendwelche Zusammenfassungen und Übersichten. Und dann kommt es zu sehr willkürlichen Vorstellungen davon, was in den Incoterms geregelt ist oder auch nicht. Viele denken, die Incoterms seien im Internet verfügbar – das stimmt aber nicht. Oftmals enthält das, was man dort findet, sogar Fehler. Und es reicht auch nicht, sich nur eine grobe Übersicht der Incoterms anzuschauen und beispielsweise zu prüfen, wo der Gefahrübergang liegt; dazu muss man richtig in die Klauseln hineingehen. Darum braucht man ihren Wortlaut, und den findet man in Deutschland in dem Buch, das ICC Germany herausgibt – der einzig verlässlichen Quelle. Wenn man im internationalen Handel tätig ist, sollte man sich also dieses Buch unbedingt anschaffen.

Gibt es noch weitere Fallstricke, die in der Praxis vermieden werden können?

Man muss immer bedenken, dass die Incoterms nur ein Bestandteil eines Vertrags sind. Der Vertrag sollte, wie ich es immer empfehle, dem UN-Kaufrecht unterliegen. Die Incoterms werden auch nicht nur speziell auf den einzelnen Vertrag angewandt, sondern müssen immer global betrachtet werden. Ein Vertrag, der eine Incoterms-Klausel enthält, steht ja schließlich in einem globalen Kontext. Das beginnt damit, dass sich die Incoterms zu dem Transportvertrag passen müssen. Es sollte möglich sein, dass der Exporteur die Dokumente nach der Vereinbarung liefern kann. Und bei der Zahlungssicherung, die für den Exporteur enorm wichtig ist, muss man darauf achten, dass er sich nicht mit einer falschen Klausel die Möglichkeit verbaut, ein Akkreditiv als Sicherungsinstrument in Anspruch zu nehmen. Das kommt zum Beispiel dann vor, wenn „ab Werk“ (Ex Works, EXW) oder „frei Frachtführer“ (Free Carrier, FCA) vereinbart wird, also die Abholung der Ware beim Exporteur selbst oder in seiner unmittelbaren Sphäre, und anschließend ein Transportdokument für die Einlösung eines Akkreditivs vereinbart wird. Wenn hinterher der Importeur das Transportmittel nicht zur Verfügung stellt, wird der Exporteur gar nicht in der Lage sein, sein Akkreditiv einzulösen. Dafür gibt es spezielle Lösungen, die man aber im Exportvertrag auch regeln sollte.

Die Incoterms erscheinen in diesem Jahr neu und treten ab 2020 in Kraft. Was bedeutet das für Ihre Mandanten?

Für meine Klienten bedeutet das natürlich, dass sie sich mit den neuen Inhalten vertraut machen müssen, um wieder auf der Höhe der Zeit zu sein. In Zukunft wird es auch wichtig sein, bei der Einbeziehung von Klauseln festzuhalten, dass es sich um solche aus den Incoterms 2020 handelt. Denn auch wenn die neuen Incoterms in Kraft treten, gilt nicht automatisch die jeweils neueste Version; die maßgebende Fassung muss in das Vertragswerk einbezogen werden, damit sie wirksam vereinbart ist. Das ist ein entscheidendes Detail, das oft vergessen wird.

Wann sollte man sich Unterstützung holen, zum Beispiel von einem Anwalt wie Ihnen oder auch internationalen Handelskammern, die dazu Beratungsangebote machen?

Sobald die neuen Klauseln verfügbar sind, also ab September – das ist der richtige Zeitpunkt. Denn die Vorbereitung auf die neuen Regeln, die zum Jahreswechsel erstmals neu angewendet werden können, fordern ja gewisse Anpassungen in einem Unternehmen. So muss sich beispielsweise die Außenwirtschaftsabteilung, die mit dem Zoll und der Logistik in Kontakt steht, frühzeitig auf die neuen Gegebenheiten einstellen können. Da sind drei Monate nicht viel Zeit.

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